Geschichte

Eine Seele aus Ton

Jedes Fahrzeug beginnt sein Leben als ein Klumpen Ton. Im berühmten Designstudio von Volvo Cars formt ein kleines Team von Handwerkern durch Kneten, Schleifen und Polieren die Modelle von morgen.

Innovation

Ein Clay Modeller formt im Designstudio von Volvo Cars sorgfältig einen Fahrzeugprototyp von Hand.

Volvo Cars Designstudio.

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Stelle dir ein modernes Auto vor. Was siehst du? Vielleicht fortschrittliche Sensoren, gestochen scharfe Bildschirme, adaptive Sicherheitsgurte, ultraschnelles Laden oder raffinierte Panoramadächer. An Ton denkst du wahrscheinlich nicht. Dabei spielt ein alltäglicher Werkstoff wie Ton und die Fähigkeit, ihn zu formen, eine entscheidende Rolle für die Autos der Zukunft.

Obwohl Tonmodelle seit fast 100 Jahren in der Automobilindustrie verwendet werden, kennen nur wenige Menschen diese Technik. Es ist ein geheimnisvolles Handwerk. Die wunderschönen Tonautos, die bei Volvo Cars sorgfältig geformt werden, werden nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Stattdessen dienen sie als Werkzeug für Designer, um ihre Ideen zu verfeinern, und für Führungskräfte, um zu verstehen, worüber sie entscheiden.

Das Designstudio von Volvo Cars befindet sich in einem grossen Designgebäude in Göteborg. Es ist Teil der Abteilung Physical Modelling, einem Team von etwa 40 Personen, darunter 12 Clay Modellers. Hier arbeiten sie unter strengster Geheimhaltung. Die heute geformten Tonmodelle werden voraussichtlich in vier bis fünf Jahren zu den Kunden gelangen, daher werden sie hinter Schiebewänden versteckt.

„Wir fertigen alles am Auto von Grund auf neu an. Jeder kleine Knopf, jede Lüftungsöffnung und jede Armlehne muss irgendwie hergestellt werden. Es ist ein Handwerk, das viele verschiedene Fähigkeiten vereint", sagt Jonas Almgren, Head of Physical Modelling bei Volvo Cars, während er uns herumführt.

Volvo Cars Modell aus Ton.

Tonmodell.

Es gibt einen Raum, in dem Polsterer Sitze und Innenverkleidungen entwickeln. Eine Dekorationswerkstatt, in der die richtigen Holzarten ausgewählt oder Späne zu neuen Mustern geschliffen werden. Eine Lackiererei, in der Farben gemischt und Tonmodelle besprüht werden. Es gibt einen Elektronikbereich für die Beleuchtung, grosse Fräsmaschinen, die sowohl ganze Autos als auch winzige Details schneiden, Lasergravuren, 3D-Drucker, Konstrukteure und Programmierer. Alles arbeitet zusammen, um ein möglichst realistisches Tonmodell zu schaffen.

„Der Vorteil von physikalischen Tonmodellen ist, wie schnell und übersichtlich sie sind“, sagt Jonas Almgren. „In wenigen Stunden sieht man genau, wie sich das Fahrzeug verändert. Man kann Ton an Ort und Stelle hinzufügen oder entfernen. Dann rollt man das Auto nach draussen und begutachtet es in der realen Welt und aus jedem Blickwinkel."

Der Prozess beginnt mit einer Skizze des Designers, einer einfachen digitalen Basis, die die Aussenflächen des Fahrzeugs beschreibt. Von dort aus arbeiten das Designstudio und der Designer eng zusammen, um die Ideen zu verwirklichen, Teile herzustellen und die Vision Schritt für Schritt zu optimieren. Zuerst durch mehrere Kleinmodelle, später als Tonfahrzeug in Originalgrösse. Der Kern wird aus Polystyrolschaum gefräst und mit etwa 20 bis 30 Millimetern Ton überzogen.

Gestaltung des Exterieurs eines Volvo Modells im Designstudio.

Im Designstudio.

„Jedes Jahr führen wir etwa 50 grössere Fräsarbeiten durch und verbrauchen dabei 50 bis 90 Tonnen Ton. Heute verbindet die Arbeit klassische Handwerkskunst mit moderner Technologie. Wir verfügen über hervorragende Scanner, die alles, was wir mit Ton machen, in die digitale Welt übertragen. So ist Ton eher zu einer Ergänzung des Digitalen geworden. Aber es ist der Ton, der dem Design seine Seele verleiht", sagt Jonas.

Wir werden in eine grosse, helle Halle geführt, in deren Mitte ein Modell eines Volvo EX90 steht. Die Hälfte des Wagens ist mit rotbraunem Ton der Marke Marsclay beschichtet. Die andere Hälfte ist in Di-Noc gehüllt, einer Folie, die echte Farbe sehr gut imitiert. Ganz in der Nähe steht ein Tonmodell des Fahrzeuginnenraums mit erstaunlichen Details, bis hin zum kleinsten Lautstärkeregler.

Das Designstudio ist in zwei Bereiche unterteilt: einen für Exterieur-Modelle und eine für Interieurs. Tom Joyce ist ein leitender Clay Modeller, der für das Aussendesign verantwortlich ist. Er wuchs im englischen Coventry auf und begann 1973 als Holzmodellbauer bei Triumph. In den 1990er Jahren wechselte er zum Ton und kam nach mehreren Jahren bei BMW, Audi und Renault zu Volvo Cars.

„Ich liebe es, kreativ mit meinen Händen zu arbeiten. Ein neues Auto zu entwerfen ist eine taktile Handwerkskunst, und nach so vielen Jahren kann ich mit meinen Fingern spüren, ob eine Form funktioniert oder nicht. Das Geniale an einem physischen Tonauto ist, dass man nichts verstecken kann. Alles wird offenbart", sagt Tom.

Bei den Exterieur-Modellen wird ein weicherer Ton verwendet, der auf 60 bis 65 °C erwärmt wird, um die richtige Konsistenz zu erhalten. Dann geht es darum, ihn aufzutragen, zu verteilen, wieder zu feilen, erneut zu schleifen, zu polieren, Winkel, Oberflächen, Linien und Formen anzupassen – ein Kreislauf, der bis zu zwei Jahre dauern kann. Wenn das Tonmodell fertiggestellt ist, werden alle Daten digital an die Konstruktionsabteilung gesendet. Der abgefräste Ton wird recycelt oder an Schulen gespendet.

Die Werkzeuge, die bei der Herstellung der Volvo Cars Tonmodelle verwendet werden.

Im Designstudio.

„Auf dem Weg dorthin kann sich viel ändern – neue Vorschriften, neue Ideen, neue Entscheidungen. Die Dachhöhe ist wahrscheinlich das, was wir am häufigsten anpassen. Aber alles kann sich ändern, und manchmal fängt man wieder bei Null an. Es ist anstrengend, aber unglaublich befriedigend, wenn alles zusammenpasst.”

Tom rollt einen Schrank voller Werkzeuge heran: Schaber, Abstreifer, Raspeln und Hobel zum Entfernen oder Bearbeiten des Tons. Ausserdem hat er sich spezielle Werkzeuge aus Löffeln, Käsemessern oder Reiben selbst gebastelt, um genau das zu erreichen, was er will.

„Die ersten Wochen mit einem neuen Modell sind die schönsten, wenn das Bild noch nicht feststeht und man sich nach seinem Gefühl richtet. Man kann frei improvisieren. Aber ich liebe auch die Zusammenarbeit mit den Designern von Volvo, den kompetentesten, mit denen ich je zu tun gehabt habe", sagt Tom Joyce.

Albin Larsson ist ein leitender Clay Modeller für Fahrzeuginnenräume. Es ist akribische Präzisionsarbeit, bei der es auf jeden Millimeter ankommt. Er verwendet einen etwas härteren Ton, der beim Auftragen mit einer Heissluftpistole aufgeweicht wird, bevor er die Details von Hand modelliert. Anschliessend legt er „Farbenhäute“ auf die Oberfläche – Material, das aus Silikonmatten mit unterschiedlichen Texturen gegossen wurde – und drückt schliesslich 3D-gedruckte Komponenten in den Ton.

„Am besten gefällt mir das Armaturenbrett, weil es so viele Details hat. Um alles richtig zu machen, arbeiten wir eng mit Sicherheitsexperten und Ergonomen zusammen. Wie fühlt es sich an, wenn man sich hinsetzt? Kannst man alles im Auto sehen? Versperrt einem irgendetwas die Sicht? Das geht nicht digital."

Genau wie Tom arbeitet Albin mit einer grosszügigen Auswahl an Abstreifern und Schabern, aber sein meistgenutztes Werkzeug ist etwas ganz anderes – gewöhnliches Klebeband.

„Klebeband, Augen und Hände sind in meinem Job das Wichtigste. Mit Klebeband kann man perfekt exakte Linien erzielen, wenn man eine Fläche im Inneren des Fahrzeugs um einen Millimeter verschieben muss. Es funktioniert ein bisschen wie ein Lineal."

Albin studierte wie die meisten schwedischen Clay Modellers an der Formakademin in Rörstrand in Lidköping. Es handelt sich um ein zweijähriges Programm, in dem man sich auf Architektur, Porzellan, Kultur oder Fahrzeuge spezialisieren kann. Aufgrund seines Interesses an Autos arbeitete Albin sowohl bei Škoda als auch bei Volkswagen, bevor er seinen Traumjob bei Volvo Cars fand.

„Es ist das Handwerk selbst, das mich antreibt. Ich bin ein Perfektionist. Aber es ist natürlich auch fantastisch, an der Entwicklung eines guten Produkts beteiligt zu sein. Man beginnt mit einem kleinen Klumpen Ton und erhält ein hochmodernes Auto, das in die ganze Welt versandt wird. Das ist spannend", sagt Albin Larsson.

Die meisten grossen Autofirmen haben mittlerweile ihre eigenen Designstudios. Volvo Cars hat diese Technik jedoch schon früh übernommen — angefangen mit dem ersten Erfolg von Designchef Jan Wilsgaard, dem Amazon, im Jahr 1956. In den letzten Jahren hat sich Göteborg zu einer Art Zentrum für das Clay Modelling entwickelt, sowohl in Schweden als auch weltweit. Jonas Almgren hofft und glaubt, dass das so weitergeht.

„Solange wir ein Auto mit dem Herzen kaufen, werden Tonmodelle gefragt sein. So sind die Menschen. Digitale Tools werden immer besser, aber ich glaube immer noch nicht, dass sie ein Tonmodell vollständig ersetzen können. Am Ende ist ein Auto ein physisches Produkt."

Ein Volvo, der vor einem Fenster geparkt ist

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